Marens emotionales Heimkommen: Nach 30 Jahren zurück in Texas
Hallo, ich bin Maren und habe mit EF 1994/95 ein unvergessliches Schuljahr in den USA verbracht. Genauer gesagt war ich in Center, Texas – weit ab von jeder größeren Stadt auf dem texanischen Land.
Spontan ins Abenteuer!
Über ein Schuljahr im Ausland hatte ich mir zuvor nie Gedanken gemacht - bis mir ein Bekannter damals von seinem Plan erzählte, ein Schuljahr in Australien zu verbringen. Über EF war es zum Glück noch möglich, spontan ein High School Jahr zu buchen. Zu Zeiten ohne Smartphones und Internet war das besonders spannend: Ein paar Wochen vor Abflug erhielt ich ein Stück Lochpapier, auf dem die Daten meiner Gastfamilie als Nadeldrucker-Ausdruck standen: Familie Jones in Center, Texas. Ich sollte eine gleichaltrige Gastschwester haben! Als einzige sonstige Information über die Familie stand dort "involved with Military". Meine Freude war etwas verhalten - ich sah schon schwer bewaffnete Texaner in Cowboystiefeln vor mir und konnte mir ein Leben dort nur schwer vorstellen. Das waren die einzigen Informationen, die ich damals vor der Abreise hatte - da blieb nur, sich in den Flieger zu setzen, und ins Abenteuer zu stürzen.
Der erste Eindruck: Voll schöner Überraschungen
In Dallas wurde ich direkt am Flughafen von meinen Gasteltern und meiner Gastschwester begrüßt. Sie hatten ein großes Plakat gebastelt, auf dem mein Name stand. Mein Gastvater war ein imposanter Veteran, meine Gastmutter arbeitete in einer Grundschule. Meine Gastmutter erzählt immer wieder gerne die Geschichte, wie sie mich am Flughafen abgeholt haben und dann zum Auto gingen und auf dem Parkplatz plötzlich merkten, dass ich fehlte. Als sie sich umsahen, stand ich noch hinter der Glastür des Flughafengebäudes. Ich war es nicht gewohnt, dass man in Texas beim Verlassen eines Gebäudes gegen eine 38° heiße Wand mit 100 % Luftfeuchtigkeit läuft! Ich habe mich dann doch überwunden, den Weg bis zur nächsten Klimaanlage (im Auto) zu schaffen und mein texanisches Schuljahr anzutreten.
Center ist übrigens nicht das Zentrum einer großen Stadt und liegt auch nicht in der Mitte von Texas - sondern ist das geografische Zentrum von Shelby County ganz weit im Osten von Texas im „Nirgendwo“. Die Familie wohnte in einem Geflecht aus Dirtroads fernab von jedem Nachbarn auf einer Farm. Das Grundstück war voller Kühe, im Haus gab es viele Hunde. Die Hauptfreizeitbeschäftigung der Jugendlichen bestand darin, auf den Dirtroads herumzufahren oder auf Coladosen zu schießen. An all das habe ich mich schnell gewöhnt.
Freunde, Familie und der Texanische Spirit
In der Schule habe ich schnell Freunde gefunden; außerdem habe ich viel mit meiner Gastschwester unternommen und hatte auch einen Freund, mit dem ich zum Prom gegangen bin. In diesem Monaten ist meine Gastfamilie wirklich wie eine zweite Familie für mich geworden. Von den Diskussionen darüber, wer den Abwasch erledigt oder die Socken sortiert, bis hin zum Mais schälen und Kälber füttern, war alles bald sehr vertraut. Durch die tiefe Freundschaft mit Familie und Freunden dort gewinnt man die Texaner sehr lieb, auch wenn Vieles fremd ist: Dass jeder ganz selbstverständlich Waffen besitzt, mit Cowboyhut und -stiefeln herumläuft (selbst beim Prom) und einen Pick-up Truck fährt, wird irgendwann normal und sympathisch.
Abschied und die Jahre danach
Die Abreise ist mir sehr schwer gefallen – sowohl die Trennung von meinem Freund als auch das Verlassen von Familie und Haustieren. Auch wenn der Kontakt nach meiner Rückkehr nach Deutschland langsam weniger wurde, habe ich mich mit Texas und den Menschen dort immer verbunden gefühlt. Anfangs habe ich Briefe geschrieben und zu Weihnachten deutsche Schokolade geschickt. Später habe ich meine damaligen Freunde via Facebook oder E-Mail gefunden und darüber Kontakt gehalten und immer ein bisschen an ihrem Leben teilgenommen.
Herzliches Wiedersehen und unvergessliche Momente - 30 Jahre später
In diesem Herbst – genau 30 Jahre später; ich habe inzwischen selbst drei jugendliche Kinder – habe ich mich entschlossen, Texas noch einmal zu besuchen. Ich habe Mann und Kinder überredet, mich zu begleiten und bin für zwei Wochen zurück nach Center, Texas gegangen. Das Wiedersehen war spektakulär und in jeder Hinsicht so, wie ich es mir gewünscht hatte.
Ich hatte meine Gasteltern, die nun um die 80 sind, in den letzten Jahren schon gelegentlich angerufen und wusste, dass sie immer noch auf der Farm wohnen (wenn auch jetzt ohne Rinder). Wir haben uns gleich an unserem ersten Abend in Texas getroffen, um gemeinsam essen zu gehen. Ich habe meinen „Gastneffen“ kennen und schätzen gelernt: Der Sohn meiner Gastschwester hat sich sofort mit meinen Kindern gut verstanden. In den zwei Wochen, in denen wir dort waren, haben wir Ausflüge unternommen – sind in den Zoo gefahren und haben gemeinsam gekocht und Karten gespielt.
Zwischen Nostalgie und neuen Eindrücken
Es war sehr witzig, mein ehemaliges Zimmer wieder zu sehen, die Lieblingstasse meines Gastvaters – jetzt mit ein paar abgeschlagenen Keramikkanten – wiederzuerkennen und meinen Kindern die Farm zu zeigen. Die kleinen Erinnerungen, die automatisch hoch kommen: Den Weg durch die Dirtroads (ich habe ihn ohne Navigation wiedergefunden!). Die Stellen, bei der man auf der Zufahrt vorsichtig fahren muss, um mit dem Auto nicht aufzusetzen. Die Badezimmertür, die etwas klemmt. Wo in der Küche die Tassen oder Töpfe sind.
Auch meinen ehemaligen Freund haben wir besucht und sein aktuelles Zuhause kennen gelernt. Wir waren spazieren und haben viel über die texanische Natur gelernt. Mit seiner Familie (Eltern, Schwester, Neffen und Nichten) haben wir einen wunderschönen Familienabend verbracht – wie damals so häufig. Wir haben Erinnerungen von früher ausgetauscht und viel gelacht.
Eine Freundin, mit der ich in der Schule während meines High School Jahrs viel Zeit verbracht habe und manchmal am Wochenende in die Kirche gegangen bin, hat mich jetzt innerhalb ihrer afroamerikanischen Gemeinde mit in die Kirche genommen. Der Gospelgottesdienst war eine tolle Erfahrung für uns alle - mitten in der Kirche unter allen dunkelhäutigen Gläubigen eine weiße Familie, die zur Begrüßung von jedem einzelnen Gemeindemitglied fest umarmt wurde und mehrfach freundlich in der Predigt erwähnt wurde.
„Es ist immer noch dein Zuhause“
Besonders gerührt hat mich, als meine Gastmutter sagte: „Vergiss nicht, wenn ihr nachher kommt, eure Schmutzwäsche mitzubringen, damit du sie waschen kannst.“ Ich habe mich bedankt, dass ich ihre Waschmaschine einfach so für die Wäsche der ganzen Familie nutzen darf. Sie sagte: „Was meinst du? Das hier ist immer noch dein Haus – natürlich kannst du die Waschmaschine nutzen!“
Zum Abschied haben wir uns alle versprochen, dass es diesmal nicht so lange dauern wird, bis wir uns wiedersehen. Zuletzt haben meine Gasteltern gesagt: „Es hat sich angefühlt, als wärst du erst letzte Woche weggegangen!“